Die Empfehlungen des vorhergehenden Kapitels gelten für die Einzelhundhaltung. Ist von Anfang an allerdings geplant, einen zweiten (oder weitere) Hund(e) aufzunehmen, sind weitere Empfehlungen unbedingt zu beachten, da mit jedem aufgenommenen Hund das Risiko von Problemen beim Aufbau dieser Gruppe steigen kann. 

Allerdings ist es nicht so, dass je eine beliebige Anzahl Hunde aufgenommen werden kann. Bei der Erweiterung sollte man sich immer die Grundstruktur des Rudels vergegenwärtigen, da diese an bestimmte Kommunikationsstrukturen gebunden ist, die zu beachten sind (vgl. Grafik). D.h. neben verschiedenen Duo-Konstellationen (VLH – V 2, V 3 – MBH, MBH – N 2 und N 3 – NLH) gibt es nur ein Trio: V 3 – MBH – N 2. Die nächste Möglichkeit wären dann wieder 4 Hunde (kompletter Vorrang bzw. Nachrang) sowie am Ende das Komplettrudel mit seinen 7 Hunden.
Denkbar sind zwar auch 5 und 6 Hunde, da in diesen Fällen aber die entsprechenden Verschlusshunde fehlen, muss dies vom Menschen kompensiert werden, was jedoch nur von sehr erfahrenen Haltern und – im Vergleich zu den Hunden – auch dann nur mit Abstrichen geleistet werden kann.

Auch ist zu differenzieren, ob es sich bei allen Hunden um Welpen handelt, die in idealtypischer Weise - d.h. in den entsprechenden Gruppen mit den empfohlenen zeitlichen Abständen - miteinander vergesellschaftet werden oder ob es sich (teils) um erwachsene Tiere handelt, denn bei der so genannten Spätvergesellschaftung (erwachsene Hunde bzw. erwachsener Hund mit Welpe) sind aufgrund anderer Ausgangsvoraussetzungen auch wieder andere Regeln zu beachten (vgl. „Wissen/Spätvergesellschaftung“).

Bei der Aufstockung durch Welpen kann der Mensch selbst die Wahl treffen. Die Entscheidung zur Erweiterung durch erwachsene Tiere sollten dagegen ausschließlich die schon vorhandenen Tiere fällen, der so genannte Altbestand.

Einzelhund – Welpe mit dem Ziel maximal 2 Hunde zu halten

Neben den anfangs identischen Stellungen des Vorrang- und Nachrang-Leithunds, die man als Ersthund auswählen kann, besteht weiterhin die Möglichkeit, auch die Stellung „Mittlerer Bindehund“ (MBH) als Ersthund aufzunehmen. Aufgrund seines enorm ausgeprägten Sozialverhaltens sollte man diese Stellung jedoch NIE allein halten, er kann als Ersthund also nur in Frage kommen, wenn die Erweiterung sicher feststeht!

Die Erweiterung des Hundebestandes für die Stellung Mittlerer Bindehund (MBH) sollte deshalb – dies gilt auch für den Nachrang-Leithund (NLH) – schnell verwirklicht und eine Zeitspanne von einem Jahr nicht überschritten werden. Beim NLH sollte zudem darauf geachtet werden, dass er aus einem Wurf stammt, in dem die Geburtsstellung des Nachrang 3. Bindehundes (N 3) fehlte.
Beim Vorrang-Leithund (VLH) ist man bei der Erweiterung zeitlich zwar flexibel, man sollte aber - wie beim NLH - dennoch darauf achten, dass ein gewisser Altersabstand zum jeweiligen Bindehund besteht, da diese bereits nach etwa 3 Jahren geistig ausgereift sind, was beim Leithund in der Regel erst mit 5 Jahren der Fall ist.

Dem MBH sollte in der Zeit als Einzelhund die Möglichkeit gegeben werden, besonders viele Kontakte mit den passenden Stellungen V 3 und N 2 zu bekommen. Weiterhin sollte sehr darauf geachtet werden, dass der Welpe seinem angeborenen Bedürfnis, Ordnung (im Rudel) herstellen zu wollen, indem er nun ersatzweise Menschen, Katzen etc. zu organisieren versucht, nicht nachgehen kann. Dies darf allerdings nicht durch dumpfe Unterbindung geschehen, sondern durch behutsames Unterbrechen und Wegführen des Hundes aus der Situation. Diese Ersatzhandlungen hören automatisch auf, wenn der passende Zweithund aufgenommen worden ist.

Übersicht der passenden Stellungen für Mehrhundehalter (2 Hunde):

VLH und V 2 als Zweithund
6 einzelhund welpezweithund vlh v2 mensch1
Formation VLH und V 2 mit Mensch beim Wandern.

7 einzelhund welpezweithund vlh v2 mensch2 zuruck
Formation VLH und V 2 mit Mensch bei Außenreizen.

NLH und N 3 als Zweithund

Der Welpe sollte aus einem Wurf Kategorie 2 stammen, in dem der NLH fehlte.

8 einzelhund welpezweithund mensch n3 nlh
Formation NLH und N 3 mit Mensch beim Wandern.

9 einzelhund welpezweithund mensch n3 nlh2
Formation NLH und N 3 mit Mensch bei Außenreizen.

Der Mensch baut sich mit dem Rücken zu den eigenen Hunden immer breitbeinig zum Außenreiz auf, sodass die eigenen Hunde den menschlichen Körper als Sicherheit haben. Der Mensch nimmt die Position des fehlenden N 2 ein.

MBH und V 3 als Zweithund, MBH und N 2 als Zweithund

Diese beiden Kombinationen bilden im Gegensatz zu den oben beschriebenen Duos (Leithund mit Bindehund) ein eher „unvollständiges“ Team.
Das Fehlen des zweiten Sicherungshundes kann - dies gilt vor allem für ältere Hunde mit Vorleben - zu einer zeitweisen Übernahme von dessen Aufgaben durch den vorhandenen Bindehund führen (d.h. V 3 übernimmt die Position des N 2 bzw. N 2 die des V 3), was eine konstante Positionierung des Menschen erschwert und deshalb hier nicht graphisch dargestellt werden kann.
Das Ziel dieser beiden Kombinationen sollte deshalb nicht die Aufnahme des zweiten Sicherungshundes (V 3 oder N 2), sondern eher die Ergänzung durch einen Vor- (VLH mit V 2) oder Nachrang (NLH mit N 3) zu einem Teilrudel sein.

Einzelhund - Welpe mit dem Ziel maximal 3 Hunde zu halten

Im Gegensatz zu den Duos, die in verschiedenen Konstellationen verbunden werden können, kann man nur mit der so genannten MBH-Gruppe (V 3 - MBH - N 2) ein Trio bilden. Der wichtigste Hund im Rudel, ohne den die innere Ordnung sofort weg- und der Verband in sich zusammen fällt, ist der MBH, der aus diesem Grund auch einen vorderen und einen hinteren, also zwei Sicherungshunde, benötigt.
Das Trio sollte – angefangen mit dem Mittleren Bindehund (MBH) – über zwei Stufen erweitert werden: Zuerst wird der N 2 dazu genommen, dann – sofern dieses Paar stabil ist – wird der V 3 integriert.

10 v3 mbh n2
Die Kommunikation mit dieser Gruppe wird vor allem über den MBH geführt.

11 einzelhund v3 mbh n2 mensch
Formation V 3 – MBH – N 2 mit Mensch beim Wandern.

12 einzelhund mensch v3 mbh n2
Formation V 3 – MBH – N 2 mit Mensch bei Außenreizen.

Die Tatsache, dass diese Gruppe nur aus Bindehunden besteht, ein Leithund also fehlt, macht die Führung dieser Hunde für den Menschen deutlich schwieriger, da er in dieser Konstellation beide Leithunde ersetzen muss, sodass diese Kombination nur mit Vorbehalten empfohlen werden kann.
Bei dieser Gruppe sollte weiterhin darauf geachtet werden, dass bei Außenreizen die „Schwachstelle“ vor dem Vorrang 3. Bindehund (V 3) durch einen menschlichen Körper besetzt ist: Der Mensch baut sich mit dem Rücken zu den eigenen Hunden direkt vor dem V 3 auf, breitbeinig zum Außenreiz hin ausgerichtet, sodass die eigenen Hunde den menschlichen Körper als Sicherheit haben. Der Mensch nimmt die Position des fehlenden V 2 ein.

Mehrhundehaltung über 3 Tiere

Wie bereits erläutert, ist eine Haltung von mehr als 3 Hunden nur sinnvoll, wenn man entweder Teilrudel oder ein komplettes Rudel hält. Anhand der schon mehrfach erwähnten Grafik kann man erkennen, dass ein Teilrudel immer aus einem Leithund (VLH oder NLH) und dem Mittleren Bindehund (MBH) sowie den dazwischen positionierten Bindehunden, also aus vier Hunden besteht.
Auch beim Aufbau dieser Gruppen sollte man sich an bestimmte Reihenfolgen halten:

Vorrang-Teilrudel (VRTR):

Begonnen wird mit VLH und V 2 bei späterer, gleichzeitiger Aufstockung durch V 3 und MBH.
13 vlh v2 v3 mbh
Bei allen Zusammenführungen der Kleingruppen ist darauf zu achten, dass diese für sich je stabil sind, da noch vorhandene „Bruchlinien“ innerhalb dieser Duos bzw. Trios ein Zusammenwachsen zu Teil- oder Komplettrudeln verzögern oder sogar behindern können.

14 teilrudel vorrang1
Formation Vorrang-Teilrudel mit Mensch beim Wandern.

15 teilrudel vorrang2
Formation Vorrang-Teilrudel mit Mensch bei Außenreizen.

Nachrang-Teilrudel (NRTR):

Begonnen wird mit NLH und N 3 bei späterer, gleichzeitiger Aufstockung durch N 2 und MBH.

16 teilrudel nachrang1
Formation Nachrang-Teilrudel mit Mensch beim Wandern - der Mensch läuft dabei immer auf der Höhe des MBH.

17 s teilrudel nachrang2
Formation Nachrang-Teilrudel mit Mensch bei Außenreizen.

Der Mensch baut sich mit dem Rücken zu den eigenen Hunden direkt vor dem MBH auf, breitbeinig zum Außenreiz hin ausgerichtet, sodass die eigenen Hunde den menschlichen Körper als Sicherheit haben. Der Mensch nimmt die Position des fehlenden V 3 ein.

Die menschliche Führung ist bei diesen Teilrudeln immer aus der vordersten besetzten Position heraus zu gewährleisten, d.h. der Mensch kommuniziert seine Wünsche und Vorgaben mit dem Hund in der vordersten Stellung und nicht mit einem der anderen Hunde.

Komplettrudel (KR):

Begonnen wird mit NLH und N3 bei späterer, gleichzeitiger Aufstockung durch N2 – MBH – V3 sowie nochmals späterer, gleichzeitiger Aufstockung durch V2 und VLH.

18 astrukturierte rudel4 komplett
Während bei den Teilrudeln der Mensch immer mit dem vordersten Hund kommuniziert, gibt es beim Komplettrudel auch eine alternative Position.

19 komplettes rudel1

20 komplettes mbh mensch rudel
Formationen Komplettrudel mit Mensch beim Wandern.

Immer hält sich der Mensch im Umfeld des VLH auf, ausschließlich mit ihm führt er das Rudel. Beim wandern kann sich der Mensch alternativ aber auch im Umfeld des MBH aufhalten.

21 komplettes rudel3
Formation Komplettrudel mit Mensch bei Außenreizen. In diesen Fällen steht der Mensch grundsätzlich mit seinem Körper zwischen VLH und Außenreiz.

Führung durch den Menschen

Die obigen Darstellungen sollen ein Gefühl dafür vermitteln, in welchem räumlichen Bezug der Mensch bei seinen Hunden stehen sollte. Neben dieser Positionierung ist jedoch – gerade bei Teilrudeln bzw. kleineren Gruppen – ein weiterer Aspekt zu beachten, dessen Tragweite sich der Mensch bewusst sein muss: In diesen Konstellationen muss der Mensch die jeweils fehlenden Teile des Rudels „ersetzen“ – verständlicherweise nicht real, sondern in der Führungsarbeit für dieses Rudelteil, um es problemlos durch die (Menschen)Welt zu leiten.

Bei einem Vorrang-Duo (VLH – V 2) oder einem Vorrang-Teilrudel (VLH bis MBH) muss der Mensch nach hinten absichern bzw. den Hunden fortlaufend die nötigen Informationen aus dem hinter ihnen stattfindenden Geschehen übermitteln und diese bewerten („Auto fährt hinter uns, wird aber abbiegen“, „Mensch will zu uns aufschließen, wir gehen zur Seite“ oder eben „hinten ist alles in Ordnung“).

Bei der MBH-Gruppe (V 3 – MBH – N 2) muss der Mensch sowohl die Vorrang- als auch die Nachrangteams ersetzen, hier ist insbesondere der nachdrückliche Führungsanspruch durch den Menschen sowie die besondere Bewertung der Außenreize – analog zur Arbeit der Leithunde – notwendig, damit der MBH sich entsprechend abstimmen und verhalten kann („Menschengruppe vorne geht über die Straße, geht uns nichts an, ignorieren wir“, „wir gehen bis zur nächsten Baumgruppe, gemeinsam, die Fahrradfahrer habe ich im Blick“ etc.).

Bei einem Nachrang-Duo (N 3 – NLH) oder einem Nachrang-Teilrudel (MBH – N 2 – N 3 – NLH) verhält es sich spiegelverkehrt zu den Informationen, die die Vorrang-Gruppen benötigen: In diesen Fällen werden die Informationen mit den entsprechenden Bewertungen in Bezug auf das vordere Sichtfeld an die Hunde weitergegeben („ich sehe nichts, aber die Geräusche vor uns stammen von einer Motorsäge, die ist weit entfernt, keine Gefahr“, „Menschen kommen uns entgegen, es wird zu eng, wir gehen bitte ins Feld und warten“).

Führung durch den Leithund

Dass der Mensch als „Übersetzer“ für die Vorgänge in der Menschenwelt nötig ist, gilt für den Einzelhund, aber selbstverständlich auch für die erweiterte Struktur. Allerdings – dies ergibt sich aus dem Unterschied Eckhund zu Bindehund – ist der Mensch nur für die Gruppe als solche, die er in partnerschaftlicher Absprache mit dem Eckhund führt, nicht für jeden einzelnen Hund zuständig, denn für den Bindehund ist der Eckhund zuständig, der ihn entsprechend der Vorgaben des Menschen führt. Dass der Bindehund durch den Eckhund geführt wird, bedeutet keinesfalls totale Unterwerfung oder Willenlosigkeit des Bindehundes. Der Bindehund hat seine eigene Persönlichkeit, Rechte und Ansprüche an seinen Eckhund und den Menschen und wird diese auch, wenn sie ihm zustehen, erfolgreich durchsetzen.

Der Mensch berücksichtigt deshalb bei Ansprachen, Erwartungsformulierungen und im gemeinsamen Alltag die Kommunikationsstrukturen der Hunde, indem er den Bindehund nicht direkt, sondern über den Eckhund anspricht. Dazu gehört beispielsweise, dass der Halter zwar seine Vorstellungen bezüglich des Verhaltens der Hunde in bestimmten Alltagssituationen formuliert, dem Eckhund aber bei der Durchführung und der individuellen Lösung so viele Freiheiten wie möglich lässt. Bei der menschlichen Vorgabe „Spaziergänger werden von den Hunden nicht tangiert", kann die Lösung der Hunde dann unterschiedlich ausfallen: mal wird ausgewichen, mal stellen sie sich an den Rand und beobachten, mal stellen sie sich an den Rand und schnuppern sich fest.