Die drei „L“

Nachdem im vorigen Kapitel die ersten drei wichtigen Stichworte gefallen sind, soll in diesem Abschnitt – erneut mit drei Stichworten – näher auf das Thema „Hund und Umwelt“ eingegangen werden.

Es beschäftigt sich mit der Frage, wie sich der Mensch MIT seinem Hund in der Umwelt bewegen sollte, welche Haltung dabei vom Menschen gefordert wird, auf welche Bedingungen er achten, welche Leitgedanken er sich vergegenwärtigen muss.

Die drei Stichworte zu diesem Thema sind: „Leitung“, „Leere“ und „Luft“.

Leitung

Der Mensch ist naturgemäß derjenige, der sich mit der Menschenwelt und ihren Anforderungen am besten auskennt und Bescheid weiß, dass es Grenzen für alle „Beteiligten“ – Menschen wie Hunde – gibt. Er muss also den Hunden deutlich machen, dass nicht in Beeten nach Mäusen gebuddelt wird, Menschen nicht von Hunden angesprungen, ja nicht einmal ungefragt begrüßt werden wollen, dass keine Katze, kein Vogel und kein anderes Tier gejagt und kein Radfahrer gestoppt wird und dass Autos auf Hunde keine Rücksicht nehmen, aber ansonsten harmlos sind und nur auf der Straße fahren.
Und – nicht minder wichtig – dass im Falle der Nichtbeachtung in den meisten Fällen entsprechende Einschränkungen für die Gemeinschaft folgen werden: Ärger durch die Mitmenschen, Anzeigen, Verbot bestimmter Wegstrecken, Leinen- oder Maulkorbpflicht etc. Je nach Lebenssituation und auch nach Vorstellung des Menschen hinsichtlich Dringlichkeit können diese Vorgaben natürlich stark schwanken!

Der Mensch ist hier also als „Dolmetscher“ zur Menschenwelt gefordert, er übersetzt die Anforderungen und Regeln, die das menschliche Miteinander und das geforderte bzw. tolerierte Verhalten von Hunden betreffen. Auch ist er derjenige, der die Lebenswelt der Menschen mit all ihren technischen Geräten und Errungenschaften kennt und ausreichend erklären kann. So zum Beispiel, dass dies keine Dinge sind, vor denen ein Hund Angst haben muss, die ihn also nicht tangieren werden, die er im Gegenzug aber auch nicht korrigieren kann, wenn ihm danach ist.
Der Mensch übernimmt für seinen Hund die „Leitung“ durch die Menschenwelt.

Das bedeutet zum Beispiel, dass der Hundehalter, wenn sich ein anderer Mensch der Gemeinschaft nähert, seinem Hund auch die Zuständigkeiten klar macht, bevor dieser selbst eine „Lösung“ entwickelt, zum Beispiel für ein aus Hundesicht unerlaubtes Eindringen in seine Tabuzone. Hier muss der Mensch rechtzeitig handeln („Habe ich gesehen!“), die Situation übernehmen („Ich kläre es, ich spreche mit dem Menschen, Du musst Dich nicht darum kümmern!“), aber dem Hund gleichzeitig vermitteln: „Du bist sicher!“
Damit ist für den Hund klar, der Mensch hat die Lage erkannt, alles im Griff und passt auf, es besteht somit keine Notwendigkeit für eine eigene „Lösung“.

Dabei können nun alle möglichen Dinge zu „Menschenaufgaben“ erklärt werden, selbst wenn es andere Hunde – also auf den ersten Blick die „Hundewelt“ – betrifft. So kann man zum Beispiel Fremdhunde an der Leine – wenn der eigene Hund Kontakt aufnehmen möchte – zu einer „Menschenaufgabe“ erklären … wenn der andere Hundehalter seinem angeleinten Hund offensichtlich keine Begegnung mit einem anderen Hund zumuten möchte und das im Falle eines Falles zu einer Menge Ärger führen könnte. Es ist dem eigenen Hund also klar und deutlich zu vermitteln, dass er 1. nicht alleine auf der Welt ist und es 2. menschliche Belange und Erwartungen gibt, über die sich ein Hund nicht hinweg setzen kann.

Leere

Eine Grundvoraussetzung für die Mensch-Hund-Gemeinschaft ist die Aufmerksamkeit, die der Mensch nicht nur seinem Hund gegenüber aufwendet, sondern allen Dingen der Menschenwelt gegenüber aufwenden muss.

Dafür ist es unabdingbar, dass man sich voll auf seinen Hund, die Gemeinschaft mit ihm und die Umwelt konzentriert – im Hier und Jetzt aufgeht. Handy, Gespräche und abschweifende Gedanken sind im Grunde tabu! Denn auf diese Weise abgelenkt, verabschiedet sich der Mensch innerlich zwangsläufig aus der Gemeinschaft, was der Hund sofort erkennt und worauf er umgehend reagieren wird („dann macht halt jeder seins!“).
Für einen Gang durch die Menschenwelt ist es unabdingbar, dass der Mensch nicht nur permanent die Umwelt im Auge hat, um Dingen auszuweichen, die für die Gemeinschaft unangenehm, gefährlich oder auch nur unnötig erscheinen. Sondern der Mensch hat auch immer seinen Hund im Blick: Wo gibt es Fragen? Wo sind ihm Dinge nicht geheuer? Wo braucht er also Unterstützung, Sicherung oder eine Erklärung?

Genau für diesen Zustand muss der Mensch eine innere „Leere“ herstellen, nicht im Sinne von „ausgebrannt“ oder „orientierungslos“, sondern von „gedankenbefreit im Hier und Jetzt“, aufmerksam sowohl dem Hund als auch der Umwelt zugewandt.

Luft

Es müssen für den Menschen die Dinge in der Umwelt aber abgearbeitet, der Mensch also selbst in der Lage sein, den Dingen, denen die Gemeinschaft begegnet, neutral gegenüber aufzutreten. Es müssen diese Dinge einfach „Luft“ für den Menschen sein. Ängste gegenüber bestimmten Lebewesen, wie zum Beispiel bestimmten Hunden, die ins Blickfeld geraten, oder Menschen, die man nicht mag, die einem unheimlich erscheinen, oder auch nur Situationen, die einen überfordern oder einschränken - alle derartigen „Zwangslagen“, die der Mensch als gefährlich oder selbst nur schwierig einstuft, werden vom Hund in Sekundenbruchteilen wahrgenommen, dann innerlich verarbeitet … und gegebenenfalls „übernommen“ (was in letzter Konsequenz zu einem unerwünschten Verhalten führen kann)!

Sind aber Menschen, die einem entgegenkommen oder Dinge, die laut und schnell sind – um nur die häufigsten Umweltreize zu nennen –, normal, vom Hund abgearbeitet und auch für den Menschen einfach nur „Luft“, wird es auch keine Reaktion von Seiten des Hundes geben.
Das ist natürlich leichter gesagt als getan und niemand ist frei von emotionalen Reaktionen, aber diese Kettenreaktion innerhalb einer Gemeinschaft muss man sich vor Augen führen, um zu verstehen, welche Kleinigkeiten zu welchen Aktionen, welche Schmetterlinge zu welchen Orkanen führen können.

Zu dieser notwendigen inneren Haltung von Sicherheit und Unerschütterlichkeit gehört im Grunde noch ein viertes „L“ als Ergänzung des letzten Punktes: loslassen.

Nach einem Zwischenfall, einer unangenehmen Begegnung ist es für den Hund wichtig, aus der Situation zu gehen, das Vergangene möglichst schnell hinter sich zu lassen. Da Hunde im Hier und Jetzt leben, ist es für sie deutlich leichter: Einmal kurz den Stress und die Anspannung abschütteln und schon wird neu gestartet.
Dies sollte auch der Mensch nachvollziehen, denn es bringt nichts, in einer möglicherweise emotional aufgeputschten Situation zu verweilen, sich weiter oder gar noch mehr aufzuregen. Dies wird der Hund weder verstehen noch wird er damit die Situation selbst schnell abhaken können. Er wird im Gegenteil diese Reaktion möglicherweise mit den Umständen verknüpfen und bei einer kommenden, ähnlichen Situation gleich selbst das Heft des Handelns übernehmen und für eine „Lösung“ sorgen.